WOM Journal 10/2003

Vom Filmbösewicht zum Serien-Star:
Kiefer Sutherland über das faszinierende Spiel mit der Zeit

von Sam Edgar Geller

Im November 2001 überraschte der US-Sender Fox mit einem neuen Serienformat unter dem Namen "24". Die Serie war so ungewöhnlich konzipiert, dass viele Produzenten zunächst zitterten. Würde es Fox tatsächlich gelingen, die Zuschauer mit einer ungewohnt langen Geschichte über 24 Episoden am Schirm zu halten? Es gelang ihnen. "24" lief sogar so gut, dass Ende Oktober in den USA jetzt die dritte Staffel auf Sendung gehen wird. In Deutschland ist vor vier Wochen die erste Staffel angelaufen, und auch hier verspricht das Format sich zu einem beachtlichen Erfolg zu entwickeln. Anlässlich des deutschen Serienstarts trafen wir Kiefer Sutherland in Los Angeles.

Sie sind in Hollywood sehr gut im Geschäft. Warum haben Sie sich dazu entschieden, mit einem Mal Fernsehen zu machen?
Das war gar kein so großer Schritt. Zu Beginn meiner Karriere gab es noch eine sehr deutliche Trennlinie zwischen Fernsehen und Kino. Wenn man einen bestimmten Film sehen wollte, musste man $7,50 ausgeben, um ihn zu sehen. Was für ein Aufwand! Man musste sich ins Auto setzen, zum Kino fahren, sich einen Parkplatz suchen und all das. Es gab keine Alternative. Es gab damals nur drei TV-Kanäle, kein Kabelfernsehen, kein Satellitenfernsehen - nichts. Heute gibt es diese Kluft zwischen TV und Film nicht mehr. Wenn ich heute einen Film mit Paul Newman oder Robert Redford sehen will, kann ich zwischen über tausend Kanälen wählen. Ich habe jetzt eine TiVo-Box, die sucht für mich nach dem Schauspieler, den ich gern sehen würde. Ich muss nicht mal mehr in die Videothek gehen. Früher war diese Grenze zwischen TV und Kino scharf gezogen, heute ist sie abgestuft. Mittlerweile gibt es sehr viele qualitativ hochwertige Serien mit wirklich guten Drehbüchern: "Emergency Room", "NYPD Blue", "The Sopranos" und viele andere. Ich habe mir gesagt: Wenn ich eine wirklich originelle und einzigartige Serie finden würde, dann wäre das auch was für mich. Dann stieß ich auf "24". Mich überzeugte das Echtzeit-Konzept und die Chance, einen Charakter darzustellen, wie ich ihn vorher noch nie gespielt hatte. Die Entscheidung fiel mir dann ganz einfach.
War es nicht außerordentlich schwer, in einem so formalen Konzept wie "24" Spannung zu generieren?
Ich hatte zu Anfang tatsächlich meine Vorbehalte - ich sah dann aber, wie der Regisseur und Co-Produzent Stephen Hopkins mit der Problematik umging. Allein die Art und Weise, wie die verschiedenen Handlungsstränge miteinander verknüpft werden, wie der Zuschauer auf dem Laufenden gehalten wird, baut zusätzliche Spannung auf: Oh Gott, sie ist im Krankenhaus, wie kommt er jetzt dahin? Das wird er nie rechtzeitig schaffen! Diese Spannung zermürbt den Zuschauer, bewusst oder unbewusst. Das ging uns am Set nicht anders. Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich laut Script in zwölf Minuten von Santa Monica zu einem Krankenhaus in Downtown L.A. kommen sollte. Ich sagte: "Leute, das ist unmöglich, egal wie schnell man fährt. Man kann unmöglich in zwölf Minuten dort sein, nicht einmal über den Highway." Die Autoren grinsten nur. Just in diesem Moment schwebte ein Helikopter in unser Set. "Doch, damit geht das", lachten sie. Ich staunte nur. "Ich fliege mit einem Helikopter?!" Diese Überraschungen hielten es immer sehr aufregend.
Waren Sie froh, statt des Schufts endlich mal einen guten Familienvater zu spielen?
Diese Phase zwischen 27 und 35 ist für einen jungen Schauspieler sehr gefährlich. Man ist noch nicht alt genug, eine männliche Hauptrolle mit Leben zu füllen, aber auch nicht mehr so jung, um einen Highschool-Studenten spielen zu können. Man ist quasi im Niemandsland. In diesem Alter durfte ich viele eher harte Charaktere spielen, etwa in "Die Jury" oder in "Eine Frage der Ehre". Das Problem mit solchen Rollen ist natürlich, dass man schnell in eine Schublade gesteckt wird - und in der Regel nur noch für die eine Rolle gecastet wird, für die man bekannt ist. "24" war für mich als Schauspieler daher wie eine frische Brise.
Die Tage des Schufts sind gezählt?
Ich arbeite immer wieder mit den selben Leuten zusammen: Ich habe vier Filme mit Joel Schumacher, drei mit Rob Reiner, neun mit Joe Rock gedreht. Die wissen ganz genau was ich kann, wie das Publikum mich sieht, und meine Rollen sind dem entsprechend. Was ich an Amerika so liebe, ist die Tatsache, dass die Menschen aus dem Fernsehen lernen. Wenn die Zuschauer einen farbigen Präsidentschaftskandidaten im Fernsehen sehen, dann fällt es ihnen leichter, sich das auch im wirklichen Leben vorstellen und akzeptieren zu können. Wenn die Leute mich also als normalen Mann mit Frau und Kind in "24" sehen, dann fällt es ihnen leichter, mich in dieser Rolle zu akzeptieren. Ich hoffe also, dass mir durch "24" in Zukunft ein breiteres Spektrum an Rollen angeboten wird als immer nur die des klassischen Filmbösewichts.
Sie haben ja bereits als Regisseur gearbeitet. Wie wäre es mit einer Folge "24" als Regisseur?
Um Gottes Willen! Diesem Zeitdruck wäre ich nicht gewachsen. Ich habe schon öfter gleichzeitig Regie geführt und mitgespielt, aber bei einem engen Zeitplan wie bei den "24"-Produktionen geht das nicht.
Welche Fehler wurden in der ersten Staffel gemacht, und wie konnten Sie diesen in der zweiten entgegensteuern?
Ich glaube, das größte Problem war das Zeitformat. Die Autoren haben das aber sehr clever gelöst, indem sie die Geschichte mit neuen Charakteren breiter und vielfältiger angelegt haben. Die neuen Figuren ermöglichten es, mehr mit der Zeit zu spielen, und so gab es einfach mehr Orte, an die man den Zuschauer mitnehmen konnte. So war es denn auch möglich, dass einzelne Figuren auch Off-Kamera Dinge erleben konnten. Außerdem mussten am Ende der Staffel nicht ganz so viele neue Charaktere eingeführt werden.
Warum, glauben Sie, ist die Serie so erfolgreich?
Ich glaube sie mögen die Art, wie wir die Elemente kombiniert haben. Das gibt der Serie einen besonderen Spannungslevel. Selbst in Kinofilmen ist so ein Spannungsniveau heutzutage selten. "West Wing" ist ein phantastisches Drama, "Ally McBeal" ist eine großartige Comedy-Show. Aber das hier ist waschechter Thriller. Und so etwas habe ich schon sehr, sehr lange im Fernsehen nicht mehr gesehen. "Auf der Flucht" mit Harrison Ford z.B. ist eine ähnliche Story, die den Zuschauer permanent auf Trab hält. Das ist genau der Grund, warum dieses Genre funktioniert. Ich bekomme ständig von Leuten auf der Straße zu hören, dass die Sendung sie fürchterlich nervös machen würde. "24" ist wie eine wahnsinnige Achterbahnfahrt.

 

© Luin Okt. 2003